Albrecht/d. und Industrie 4.0

Der Gegensatz zwischen Kunst und Industrie war seit Beginn der Industrialisierung der Gegensatz zwischen dem künstlerischen Unikat und der Massenproduktion von gleichförmigen bzw. gleichartigen Artikeln: Qualität gegen Quantität.

Stempel- und Druckverfahren gibt es schon seit rund 2000 Jahren. Sie wurden bereits sehr früh für künstlerische Zwecke eingesetzt. Dabei war die Intention immer vom Gedanken der Replizierbarkeit und Qualitätssicherung geprägt. Druckverfahren wurden eingesetzt um von einem Motiv mehr als nur ein Exemplar herstellen zu können, dabei aber den Erstellungsaufwand nicht in gleichem Umfang vervielfältigen zu müssen und zugleich jedes Exemplar in gleicher Qualität erzeugen zu können.

Vor allem nach der Erfindung des Buchdrucks stieg das Bedürfnis nach leicht reproduzierbaren Illustrationen rapide an. Eine gewisse Vorwegnahme der serienmäßigen Nutzung des künstlerischen Drucks für kommerzielle Zwecke waren beispielsweise diejenigen Lithografien Toulouse-Lautrecs, die als Werbeplakate in Auftrag gegeben und eingesetzt wurden.

Hatte bei den mittelalterlichen Holzschnittkünstlern noch die künstlerische Abbildung z.B. einer Stadtansicht im Vordergrund gestanden, nutzte Toulouse-Lautrec das künstlerische Medium Druckgrafik bereits in einem industriellen Sinne als Serienfertigung eines kommerziellen Motivs und Produkts. Nicht mehr das Unikat des Plakats war das Ziel, sondern die Anwendung des industriellen Prinzips der Serienfertigung auf einen künstlerischen Schaffungsprozess.

Ein logische Weiterentwicklung waren die Suppendosen und Coca Cola-Flaschen, die Andy Warhol per Siebdruck ins Museum brachte. Der Fertigungsprozess war ein manufakuriertes Druckverfahren: der Siebdruck. Und auch das Motiv war nun aus der Welt der industriellen Fertigung: Suppendosen, Limonadeflaschen. Mit Warhol erreichte die Kunst eine vollständige Adaption industrieller Prozesse im künstlerischen Bereich. Nicht das Unikat wurde mehr gegen die Massenfertigung gestellt, sondern die in Serienfertigung hergestellte Abbildung eines Massenprodukts.

Albrecht/d. entdeckte bereits sehr früh die neuen Möglichkeiten, die die Fotokopie bot. Die „starke Anpassung (bis zur Losgröße 1) der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten (Großserien)-Produktion (Mass Customization)“, (Wikipedia über Industrie 4.0) konnte durch die Nutzung von Fotokopierern für den künstlerischen Prozess genutzt werden.

Waren die klassischen Techniken der Druckgrafik darauf ausgelegt, eine Serie eines Motivs in möglichst gleicher Qualität zu liefern, so war dies ein elementares Versprechen des Fotokopierers, auf dem Albrecht/d. das Prinzip der „Mass-Customization“ aufsetzen konnte.

Ein Bild konnte nun fotokopiert werden, die Fotokopie bearbeitet und wieder fotokopiert und wieder bearbeitet werden usw. Am Ende konnten tatsächlich entsprechend große Serien von Bildern stehen, die alle eine gemeinsame Basis hatten, sich aber alle unterschieden, individualisiert waren. Dazu nutzte Albrecht/d. die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Automatisierungstechnik.

Tatsächlich schuf er Serien auf der Basis einer Originalvorlage, die fotokopiert wurde. Dabei konnten im Kopiervorgang auch Farbumwandlungen und andere Effekte einprogrammiert werden. Die so gewonnenen, zunächst gleichen digitalen Drucke bearbeitete er anschließend um sie zu individualisieren. Diesen Arbeitszyklus führte er für manche Werke auch mehrfach aus.

Mit dieser Vorgehensweise verkehrte er das bis zu Warhol immer mehr perfektionierte Prinzip der Industrie-Nachahmung durch die Kunst. Bei Albrecht/d. wurde der industrielle Fertigungsprozess direkt zum künstlerischen Akt. Waren die Hoch- und Tiefdruckverfahren bis dahin künstlerische Verfahren gewesen, die man im Sinne der Serienfertigung eingesetzt hatte, nutzte Albrecht/d. gezielt Büromaschinen (Fotokopierer) als künstlerische Werkzeuge zur Schaffung von künstlerischen Zwischen- und Endprodukten, die am Ende durch eine Individualisierung künstlerisch veredelt wurden.

Frank Zander hatte in den 1970er Jahren ein Lied herausgegeben, in dem der Name der besungenen Person ausgetauscht wurde. So gab es das Lied für eine ganze Anzahl verschiedener Vornamen. Letztlich eine musikalische Variantenfertigung.

Es dauerte bis in das 2. Jahrzehnt dieses Jahrtausends bis die Industrie unter dem Stichwort Industrie 4.0 diesen Prozess in ihren auf serienmäßige Gleichförmigkeit ausgelegten Produktionsverfahren abbilden konnte. Somit war sie nun in der Lage jene individualisierten Flaschen von Coca Cola anzubieten, die für begrenzte Zeit mit unterschiedlichsten Vornamen auf dem Etikett erhältlich waren. Andere Hersteller wie Ferrero folgten (Nutella). Auch hier wurden unterschiedliche Vornamen auf die Gläser gedruckt.

„Der Wirtschaftsjournalist Roland Tichy äußert die Sorge, dass insbesondere deutsche Großunternehmen (z. B. der Automobilindustrie) durch ihren Hang zur Trägheit, zum Bürokratismus und zur Skepsis gegenüber Innovationen den digitalen Wandel nicht überstehen könnten […]. Zudem attestiert er einen durch die 68er-Generation geprägten Kulturpessimismus bzw. eine ‚Fortschrittsangst‘, die noch nicht vollständig überwunden sei.“ (Wikipedia über Industrie 4.0)

Künstler wie Albrecht/d. Boris Nieslony, Steffen Bremer, Oliver A. Krimmel, Georg Mühleck und zahlreiche andere zeigten dem Medium Fotokopie gegenüber alles andere als eine „Fortschrittsangst“.

Sie nahmen bereits in den 1980er Jahren den Gedanken von Industrie 4.0 vorweg, tauschten den Pinsel mit dem Fotokopierer und schufen eine serielle Kunst, die theoretisch endlose Auflagen hervorbringen konnte, und die erstmals den industriellen Prozess in der Kunst nicht nachvollzog sondern vollständig integrierte. Sie hoben damit auch den Gegensatz zwischen Kunst und Industrie auf, obwohl ihre Kunst eine Kunst des Untergrunds und der Industriekritik ist. Die Nutzung der industriellen Fertigung ist künstlerisches Konzept und Opposition gegen die Industrialisierung der Gesellschaft zugleich.

Eine Errungenschaft, die gerade die Automobilindustrie stellvertretend für die Industrie der Serienfertigung stark nutzt ist das Prinzip des „Konzernbaukastens“, das z.B. beim VW-Konzern dazu führt, dass Fahrzeuge von Audi, VW, Seat oder Porsche zu einem erheblichen Teil aus denselben Komponenten gefertigt werden, ja teilweise sogar optisch weitgehend identisch sind und sich nur noch in Ausstattungsmerkmalen, Motorisierung und Preis unterscheiden. Albrecht/d. schuf seinerseits einen Komponetenbaukasten aus Stempeln, Kopiervorlagen, Symbolen, Aufklebern etc., aus denen er frei schöpfen und praktisch unbegrenzt individuelle Werke erschaffen konnte. In dieser Industrialisierung seiner künstlerischen Arbeit lag auch einer der Hauptfaktoren für den immensen Umfang seines Werkes.

Wo Tichy noch Kulturpessimismus und ‚Fortschrittsangst‘ unterstellte, dachten Albrecht/d. und seine Künstlerkollegen viel früher wesentlich fortschrittlicher als viele Galeristen, Journalisten und oft auch als ihr Publikum.

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