Künstlerhaus Stuttgart

Die europäische Künstlerhausbewegung entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Abnehmen der quasi-Monopolstellung des Adels und der Kirchen als Auftraggeber für Künstler entstand für diese eine zunehmend prekäre Situation. Die adligen bzw. kirchlichen Auftraggeber hatten den Künstlern oft Räume zum Wohnen und Arbeiten zur Verfügung gestellt. Das immer mehr an Einfluss gewinnende Bürgertum liberalisierte zwar die Gesellschaften in gewissem Umfang, aber die Beziehung der bürgerlichen Sammler zu den Künstlern erschöpfte sich häufig im gezielten Ankauf von Arbeiten. Sie stellten keine Ateliers, Wohn- und Ausstellungsräume, etc.

So entstand in Rom ein Konzept für ein Künstlerhaus mit Räumen für Wohnen, Arbeiten, Ausstellungen, eine Bibliothek, Archiv, sowie eine Gastronomie und Theaterbühne. Dieses Konzept liegt allen Künstlerhäusern des 19. Jahrhunderts zugrunde, ob in Hannover, Kassel, Berlin, München, Wien oder Salzburg.

Die Initiative für ein Stuttgarter Künstlerhaus basierte auf dieser Vorgeschichte und war Teil einer neuen Gründungswelle von Künstlerhäusern in der Bundesrepublik Ende der 1960er bis Anfang der 1980er Jahre.

Die Initiative für ein Künstlerhaus in Stuttgart entstand Mitte der 1970er Jahre getragen von einer Gruppe von Künstlern, die im Verband Bildender Künstler Württemberg e.V. (VBKW) organisiert waren. Zu ihnen gehörten sowohl der erste Vorsitzende des VBKW, Armin Martinmüller, als auch Albrecht/d., über dessen Grundkonzeption für ein Künstlerhaus in Stuttgart die Stuttgarter Nachrichten am 28.12.1974 in einem ausführlichen Artikel berichtete. Diese wurde dem Gemeinderat und am 05. Mai 1975 auch dem Kulturausschuss der Stadt Stuttgart vorgestellt. Er orientierte sich am Mannheimer Modell und schlug zunächst die Villa Gemmingen-Hornberg vor, bzw. als Alternative das Gustav-Siegle-Haus, das auch Armin Martinmüller favorisierte.

Neben einer Druckwerkstatt sah das Konzept eine Cafeteria, eine Galerie, Veranstaltungsräume und Atelierwohnungen vor, für die Albrecht/d. internationale Stipendien vorschlug. Darüber hinaus schwebte ihm vor, dass im Künstlerhaus Büros für den VBKW geschaffen werden könnten, der zusammen mit der Stadtverwaltung die Trägerschaft des Künstlerhauses übernehmen könnte.

In dem Artikel spricht Albrecht/d. von 430 Künstlern in Stuttgart, die Mitglieder des Berufsverbands sind und von weiteren 200 – 300 nicht-organisierten Künstlern, die alle „einen enormen Beitrag zum kulturellen Leben dieser Stadt“ leisteten.

Albrecht/d. wurde am 20. November 1975 zum Vorsitzenden und Sprecher der neu gegründeten „Region Stuttgart“ im VBKW gewählt. Er bekleidete diese Position bis zu seinem Rücktritt am 25. Januar 1977. Aus seiner Zeit als Regionsvorsitzender sind mehrere Protokolle erhalten, die auf inhaltliche und konzeptionelle Differenzen zwischen den Beteiligten schließen lassen. Die erfolglosen Verhandlungen mit der Stadt über die Villa Gemmingen und das Gustav-Siegle-Haus mögen ihren Anteil dazu beigetragen haben.

Am 28. März 1977 veranstaltete die Initiative für ein Künstlerhaus in Stuttgart einen Informations- und Diskussionsabend zum Thema „Braucht Stuttgart ein Kulturzentrum?“. Hier wurde bereits das Gebäude Reuchlinstraße 4b konkret als idealer Ort vorgestellt. Am 20. Mai 1978 gründete sich das Künstlerhaus Stuttgart offiziell. Die konstituierende Sitzung fand am 22. Mai im Café des Stuttgarter Künstlerbundes im Gebäude des Württembergischen Kunstvereins statt. 1. Vorsitzender wurde Kurt Weidemann, 2. Vorsitzende Doris Cordes-Vollert, Schatzmeister Dr. Karl-Alfred Storz, Geschäftsführer Ulrich Bernhardt.

Am 24. August 1978 gründeten die Künstler Erdmut Bramke, Christoph Freimann, Hansjerg Maier-Aichen, Georg Karl Pfahler, Hinrich Weidemann und der Galerist Max Hetzler den Verein zur Förderung der Kunstausstellungen Gutenbergstraße 62A. Diese Initiative und ihr Ausstellungsraum sollten die folgenden Jahre eng mit dem Künstlerhaus verknüpft bleiben. Während des Umbaus des Gebäudes Reuchlinstr. 4b in den Jahren 1982-84 diente die Gutenbergstraße 62A als Ausweichquartier. Hier fand vom 09.-14. März 1981 auch die Ausstellung und Aktionswoche „Tutti Frutti“ des Frankfurter Shvantz!-Kollektivs um Walter E. Baumann und Pola Reuth statt, die Albrecht/d. vermittelt und organisiert hatte.

Im Rahmen von „Tutti Frutti“ stellten Gino Lametta („avanti“) und Hilka Nordhausen („Zehenspitzen„) aktuelle Arbeiten aus, Pola Reuth hatte eine Multimedia-Arbeit aus Foto, Film und Performance konzipiert („Zombie“) über Heldenkult, Faschismus und Körperkult u.a. illustriert mit der Ästhetik Arno Brekers, und Walter Baumann präsentierte zwei Performances („Hawaii“ und „Metropolis“). Zur Eröffnung spielten die No-Wave-Gruppe „Moskwitsch“ aus Hamburg und die Punkbands „Tatendurst“ aus Konstanz und „Kampfgas“ aus Stuttgart. Dieser multimediale, interdisziplinäre Ansatz, der Kunst und subkulturelle Ansätze aus Industrial und Punk zusammenführte, nahm die Konzeption des von Walter E. Baumann federführend organsierten Shvantz!-Festivals auf, an dem Albrecht/d. im November 1979 in Frankfurt teilgenommen hatte. Er entsprach auch Albrecht/d.s damaliger Nähe zu Punk und Industrial.

Als Brückenschlag zwischen verschiedenen Gruppen von Kreativen in Stuttgart war „Tutti Frutti“ äußerst erfolgreich. Der von Baumann/Reuth und Albrecht/d. angestrebte Austausch und die engere Kooperation dieser Gruppen erhielten wichtige Impulse. Ohne „Tutti Frutti“ wäre wohl 2016 das Buch „Zum Berühmtsein (eigentlich) keine Zeit“ nicht zustande gekommen und diese Webseite nicht ins Leben gerufen worden.

Die Differenzen mit einigen Akteuren der Künstlerhaus-Initiative und Geschäftsführer Ulrich Bernhardt konnte Albrecht/d. nicht mehr beilegen. Eine gestalterische, programmatische Zusammenarbeit über punktuelle Aktionen hinaus kam nicht zustande. Doch sein Name bleibt mit dem Einsatz für die Gründung und der Konzeption des Künstlerhauses eng verbunden.